
27. April 2015
VCS-Strasseninitiative
1. Aufhebung der Strassennetzhierarchie führt zu Mehrverkehr in den Quartieren
Mit der Umnutzung und Aufhebung von Fahrspuren, zusätzlichen und längeren Rotlichtphasen sowie der de facto weitgehender Einführung von Tempo 30 auch auf Hauptstrassen verlieren die Hauptstrassen ihre Leistungsfähigkeit und damit ihre kanalisierende Wirkung. Unvermeidbare Folge davon: Ausweichverkehr in die Quartiere. Dies besagt u.a. das soeben erschienene bfu-Sicherheitsdossier Nr. 13 „Personenwagen-Lenkende und -Mitfahrende“, S. 194:
„Von zentraler Bedeutung ist, dass das übergeordnete Strassennetz innerorts eine hohe Leistungsfähigkeit aufweist. Dadurch soll vermieden werden, dass sich Schleichverkehr auf die siedlungsorientierten Strassen verlagert.“
2. Mehrverkehr in Quartieren verschlechtert die Lebensqualität
Der so verursachte Mehrverkehr bewirkt in den Quartieren automatisch mehr Lärm, mehr Emissionen und gefährdet dort wiederum die schwächsten Verkehrsteilnehmer, die Fussgänger. Siehe dazu auch die Studie Scholz et al., die besagt, dass bei einer Herabsetzung der Geschwindigkeit der Autos auf Tempo 30 der Kraftstoffverbrauch der Autos um ca. 20% und der Stickoxidausstoss um ca. 5% steigen. Hinzu kommt, dass ein Auto, das mit 30 statt mit 50 km/h fährt, zwar einen knapp wahrnehmbaren niedrigeren Lärmpegel aufweist, die unmittelbare Umgebung dafür deutlich länger mit Lärm belastet. Unter dem Strich wird die gesamte Lärmbelastung somit erhöht.
3. Egal, ob Initiative oder Gegenvorschlag: Die tatsächlichen Kosten sind viel höher
Sowohl die Initiative als auch die Gegenvorschläge verursachen viel höhere Kosten als im Bericht dargelegt. Die Aufhebung der Strassennetzhierarchie wird unweigerlich massiven Mehrverkehr in den Quartieren zur Folge haben. Tempo 30 auf Hauptstrassen sowie längere Rotlichtphasen werden Stau sowie Stop-and-go-Verkehr verursachen. Diese bewirken enorme Folgekosten für Bevölkerung, Umwelt und Wirtschaft. Werden diese berücksichtigt, steigen die Kosten auch beim UVEK-Gegenvorschlag auf ein Vielfaches der veranschlagten Kosten. Beim UVEK-Gegenvorschlag kommt hinzu, dass die Baukosten lediglich aufgeschoben, jedoch nicht aufgehoben werden.
4. Veloverkehr soll auf den Hauptstrassen geführt werden
Der 2014 erlassene Teilrichtplan Velo hat zum Ziel, schnelle Velorouten für Pendler auf separat geführten Wegen zu errichten. Initiative und Gegenvorschläge wollen die Velofahrer jedoch auf den Hauptstrassen führen. Dies macht keinen Sinn und ist nicht nur unattraktiv sondern auch gefährlich. So sagt auch Bendicht Luginbühl, Mitbegründer der Schweizer Mountainbike-Bewegung und Begründer des professionellen Fahrrad-Journalismus in der Schweiz, dass Velofahrer die Möglichkeit erhalten müssen, auf eigenen Routen zirkulieren zu können.
„Der fundamentale Irrtum der aktuellen Berner Verkehrspolitik betrifft die Fehlentwicklung, Velofahrer auf Hauptstrassen zirkulieren zu lassen, sie gar auf Hauptstrassen zu zwingen.“ (Der Bund, 30.04.2015).
Mit der Initiative und den Gegenvorschlägen würde genau dieser Fehler in Basel-Stadt ebenfalls gemacht und die Bestrebungen des Teilrichtplans Velo obsolet.
5. Bewusste Provokation von Konflikt mit Bundesrecht
Gem. Art. 108 Strassenverkehrsgesetz ist eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf einer Hauptverkehrsachse nur dann möglich, wenn für die Verkehrsteilnehmenden eine besondere Gefahr besteht (z.B. bei Schulen), die durch keine andere Massnahme eliminiert werden kann. Initiative und Gegenvorschläge fordern als mögliche Massnahme die Einführung von Tempo 30 auf Hauptstrassen im Kanton. Es wird so bewusst der Konflikt mit übergeordnetem Bundesrecht in Kauf genommen, indem davon ausgegangen wird, dass Tempo 30 auf einer Hauptstrasse eingeführt wird und anschliessend „ein Gericht deren Unzulässigkeit feststellt“ (S. 6 Gegenvorschlag UVEK). Dies führt automatisch zu langwierigen und kostspieligen Rechtsstreitigkeiten. Bewusst eine Prozessflut zu provozieren, kann nicht der Inhalt eines Gegenvorschlags sein.
6. Abbau von Parkplätzen verursacht mehr Suchverkehr in den Quartieren
Initiative wie Gegenvorschläge hätten gemäss Amt für Mobilität die Aufhebung von bis zu 1‘900 Parkplätzen zur Folge. Dadurch verschwinden die Autos nicht einfach aus der Stadt. Vielmehr ist mit einer deutlichen Steigerung des Suchverkehrs – und in der Konsequenz mit unnötigen zusätzlichen Luft- und Lärmemissionen – in den Quartieren zu rechnen. Der Regierungsrat argumentiert, der Parkierdruck nehme in den nächsten 20 Jahren durch Schaffung von 500 bis 1‘000 neuen Park&Ride-Parkplätzen in der Region und der Einführung der Parkraumbewirtschaftung ab. Angesichts des prognostizierten Verkehrswachstums und des kontinuierlich wachsenden Mobilitätsbedürfnisses ist diese Einschätzung spekulativ bis unrealistisch. Zudem werden diese Park&Ride-Parkplätze ausserhalb Basels sein, wo sie zwar von den Pendlern, nicht aber von den Anwohnern und Besuchern benützt werden könnten.
7. Die Attraktivität des Standorts Basel wird geschwächt
Die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Basel haben hohe Ansprüche an die hiesige Wirtschaft. Sie verlangen nach qualitativ hochstehenden und möglichst schnell verfügbaren Waren und Dienstleistungen. Damit diese Forderungen erfüllt werden können, ist die Wirtschaft auf kurze Wege und eine attraktive, gut funktionierende Verkehrsinfrastruktur angewiesen. Dazu gehört insbesondere auch das Strassennetz. Zusätzliche Beeinträchtigungen des Verkehrsflusses sowie ein weiterer Abbau des Parkplatzangebotes verschlechtern die Standortattraktivität, was gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten untragbar ist. Zudem werden mit den Massnahmen, die Initiative wie Gegenvorschlag vorsehen, Gelder für Kapazitätseinschränkungen gebunden, anstatt diese für den so dringend benötigten Infrastrukturausbau und -unterhalt zu verwenden.
8. Fazit: Initiative und Gegenvorschläge schiessen am Ziel vorbei
Initiative und Gegenvorschläge geben vor, den Fuss-, Velo- und Öffentlichen Verkehr stärken zu wollen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie schwächen sämtliche Verkehrsträger. Für die regionale Wirtschaft stellt eine funktionierende Verkehrsinfrastruktur einen essentiellen Standortfaktor dar. Es ist deshalb zentral, dass die Verkehrsinfrastruktur auf die vielfältigen Bedürfnisse ihrer Nutzer ausgerichtet ist. Aus diesem Grund braucht es eine ganzheitliche Verkehrspolitik und nicht eine, welche die einzelnen Verkehrsträger gegeneinander ausspielt. Ansonsten leiden schlussendlich alle Verkehrsnutzer.
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Wissenschaftlicher Mitarbeiter Standortpolitik
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